Mittwoch, 21. September 2011

Ein Essay über das Wiener MuseumsQuartier

Die große Statue der Kaiserin Maria-Theresia steht genau zwischen zwei renommierten österreichischen Museen, dem Kunst- und dem Naturhistorischen Museum. Doch ihr Blick geht starr hinaus auf die Ringstraße und den Burggarten. Theoretisch könnte sie ihren Kopf wenden, die Architektur der beiden pompösen Gebäude betrachten und danach schmachten, eines Tages eines der Museen von innen zu sehen. Doch was ihr leider physisch unmöglich ist, ist ihren Kopf ganz umzudrehen und einen Blick nach hinten zu werfen. Sie denkt, hinter ihr befinden sich die königlichen Hofstallungen des Hauses Habsburg, welche ihr Vater 1713 in Auftrag gegeben hat. Wäre die österreichische Kaiserin jedoch eine Eule gewesen und hätte ihren Kopf drehen können, würde sie auf das heutige kulturelle Zentrum Wiens blicken, das Museumsquartier. Die ehemaligen Hofstallungen sind heute der zentrale Gebäudekomplex dieses Platzes. Sicher würde die Kaiserin so einen Kulturschock erleben, dass sie ihren Zepter beinahe fallen ließe, denn aus den ehemaligen königlichen Hofstallungen ist ein kultureller „Hot-Spot“ geworden. Und doch ist das Wiener Museumsquartier ein Platz, auf den jeder Wiener stolz ist.
Die königlichen Hofstallungen sind 1725 vom Sohn des Stararchitekten Fischer von Erlach fertiggestellt worden.  Doch nach dem Ende des ersten Weltkrieges und der Gründung der Republik Österreich haben sie jeglichen Nutzen verloren und wurden aufgelöst.  Das Gebäude, welches sein volles architektonisches Potential lange nicht wegen eines Vater-Sohn Zwists erreicht hat, ist jedoch stehen geblieben. 
Dieser Gebäudekomplex ist ab 1921 zum Messepalast umbenannt, und wieder genutzt worden. Die Wiener Messe AG hat das barocke Gebäude gekauft und für die Öffentlichkeit freigegeben. Im zweiten Weltkrieg ist dieser Komplex jedoch so zerstört worden, dass man einen Großteil der Fassade neu errichtet  und den großen Hof verkleinert hat. Seit der Gründung des Messepalastes ist es immer schon zu populären Ausstellungen in den Räumlichkeiten gekommen, beispielsweise die Ausstellung „Wien und die Wiener“ 1927, die Franz Schubert-Zentenarausstellung 1928, die Schau „250 Jahre Wiener Kaffeehaus“ 1933 oder „Die Frau und ihre Wohnung“ 1950. Während der NS-Zeit ist der Messepalast auch von der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei zu Propagandazwecken genutzt worden, und während der Besatzungszeit hat der britische Informationsdienst eine Schau über London veranstaltet. Auch der amerikanische Besatzungsdienst hat eine Ausstellung eröffnet und hat eine Basketballhalle dort errichtet. So haben Österreicher durch die Amerikaner nicht nur Kaugummi und Schokolade, sondern auch Basketball kennengelernt. Die Messen sind immer mehr in den Hintergrund gerückt und seit den 1970er Jahren ist es vermehrt  zu Diskussionen gekommen den Gebäudekomplex rein für kulturelle Zwecke zu nutzen. 1995 ist die Wiener Messe AG schließlich abgezogen.
Seit 1985 ist der Messepalast Veranstaltungsort der Wiener Festwochen, die dort heute ihre Hauptspielstätte haben. In dieser Zeit ist die Idee aufgekommen den Platz um die ehemaligen Hofstallungen kulturell zu Nutzen. Stararchitekten aus aller Welt sind gekommen um ihre Entwürfe zu präsentieren, alle nach dem Vorbild des Centre Pompidou in Paris. Man hat einen Wettbewerb ausgeschrieben den die Architekten Ortner und Ortner (Manfred und Laudis) gewonnen haben. Sie haben ein schmales Hochhaus bauen wollen als Wahrzeichen des Platzes, der sogenannte Leseturm. Das hat jedoch einen Aufschrei unter den Kunsthistorikern zu Folge gehabt, und schließlich hat sich 1994 Bürgermeister Helmut Zilk dagegen entschieden. Ein neuer, gemäßigter und vom Denkmalamt angenommener Entwurf ist gefertigt worden, und 1998 hat man mit dem Bau des achtgrößten Kulturareals der welt begonnen.
Am 29. Juni 2001 wurde das Wiener MuseumsQuartier schließlich eröffnet. Seitdem ist es kulturelles, soziales und kulinarisches Zentrum zugleich. Der Haupteingang führt an einer Veranstaltungshalle und einem Design-Shop vorbei, dann betritt man den Hauptplatz. Links vom Hauptgebäude des Messepalastes steht ein architektonisches Wunderwerk, das MuMoK (Museum für Moderne Kunst. Dieser dunkelgraue Gebäudeklotz enthält die österreichische Sammlung der Werke im 20. Jahrhundert von der modernen bis zur zeitgenössischen Kunst. Die andere Seite des Messepalastes ist durch einen gläsernen Durchgang mit dem Leopold Museum verbunden, welches sich auf Schieles Werke spezialisiert. In diesem Glasgang befinden sich Tische des Café Leopolds, man kann also von unten Leute beim Kaffeetrinken beobachten. In der Nacht wird das Café Leopold zu einem musikalischem Erlebnis für zeitgenössische U-Musik-Ohren. Der Keller des Cafés ist eine Disco in der sogenannte „Hipsters“, also urbane und kosmopolitische Leute, hingehen zu Electronic Musik zu tanzen. Der ehemalige Messepalast ist jetzt das Gebäude der Kunsthalle Wien, in dem traditionell immer noch Sonderausstellungen gehalten werden. Vor kurzem ist dort eine Weltraumausstellung gewesen, die sehr an die Ausstellung „Erschließung des Kosmos durch die UdSSR“ 1968 erinnert, in der das sowjetische Weltraumschiff „Wostok“ ausgestellt worden ist. Der gesamte Platz ist überhäuft von modern gestalteten Bänken zum Sitzen und Liegen, die sogenannten Enzis. Doch 2011 wurden diese durch ihre aus Plastik fabrizierten und etwas anders designet Enzos ersetzt. Der Enzi ist mittlerweile ein Kultobjekt geworden, man kann sich seinen eigenen Enzi als Möbelstück bestellen. Die neueren Enzos bleiben hingegen eher unbeliebt bei der Bevölkerung. Auf diesen Enzis/-os sitzen während des Tages und besonders abends Gruppen von Freunden, die sich eine Palette Bier und ein paar Snacks mitnehmen. So ein Enzi ist ein geeigneter Platz zum picknicken, denn es haben viele Leute darauf Platz. Soziologen müssten bei diesem Anblick einen Orgasmus bekommen, denn am Abend wimmelt es auf dem ganzen Platz von diesen sozialen Clusters, die jedoch voneinander nichts mitzubekommen scheinen. Ein paar wenige Enzis stehen auch vor dem Haupteingang auf einer Wiese, auf der befinden sich die jüngeren Leute die oft der Jugendkultur „Emo“ angehören. Emos sind meist im pubertären Alter aufzufinden und gekennzeichnet durch einen markanten, rebellierenden Kleidungsstil. Sie tragen viel schwarz und Knallfarben, dazu haben sie oft Piercings und entweder schwarze oder platinblonde Haare. Emos sind die Punks des 21. Jahrhunderts, und sitzen komischerweise immer nur vor und nie im MuseumsQuartier selbst.
Könnte sich Maria Theresia also umdrehen, würde ihr Blick zuerst auf die rebellierende Jugend fallen. Das wäre sicher ein großer Schock, eine über 200 Jahre alte Kaiserin versteht die Kultur einer revolutionären Jugend nicht. Sie würde sich überlegen ob sie als Kaiserin versagt hat, denn sie hat die Schulpflicht eingeführt. Auch wenn sie das Innere des MQs sehen würde, wäre sie nicht sonderlich begeistert. Die moderne Architektur erschiene ihr als banal und hässlich und sie würde sich ärgern, dass das Erbe ihres Vaters verloren gegangen sei. Doch die königlichen Ställe Fischer von Erlachs sind nicht vergessen worden, im Gegenteil. An diese erinnert noch ein Nachtclub hinter dem Hauptgebäude des Messepalastes, der „Hofstallungen“ heißt. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen